Und plötzlich wird es still in der Welt - Corona Phänomene Teil 1
English version see Blog Almut´s Anecdotes 😊http://almutsanecdotesenglish.blogspot.com/. Oder die Geschichte, wie der
fehlende Grund die Mobilität des Menschen einschneidend verändert.
"Wann werden wir mal etwas
geschichtsträchtiges Erleben, das die Generationen danach im Unterricht
behandeln werden?" Das fragte mich letztes Jahr noch einer meiner Söhne. Heute
würde ich definitiv sagen: „Wir sind gerade mittendrin“. Die Covid-19 "Corona"krise
beginnt nach Asien nun scheinbar Europa in den Würgegriff zu nehmen und stellt
die bestehende Gesellschaft auf den Prüfstand.
19.03.2020, 18:15 Uhr Bismarckstraße, Darmstadt |
Heute, Dienstag 17. März 2020:
Als ich heute durch die halbleere Innenstadt von Darmstadt mit leeren Cafés
geradelt bin, kam mir die Idee, diese Eindrücke der letzten Zeit
niederzuschreiben, da ich schon damals in der Schule tagesaktuelle Erlebnisse
von Zeitzeugen in Geschichte spannender als Monate später verfasste
Zusammenfassungen fand.
17.03.2020, 11:45 Uhr Darmstadt, Rheinstraße, eine der zentralen Hauptstraßen in Darmstadt, normalerweise voll mit Verkehr um diese Tageszeit |
Es fühlt sich widersprüchlich an: das schöne Wetter, die Kinder, die zuhause sind, die halbleeren Straßen, ein Gefühl wie in den Sommerferien – eigentlich. Andererseits fühlt es sich irgendwie mulmig an, wenn man weiß, warum alles leer steht. Mir erzählten Rückkehrer aus Österreich, dass die Skipisten total leer waren, man das im Normalfall wohl genießen würde, sie jedoch den Urlaub – obwohl nicht in Tirol – abgebrochen haben, weil es gespenstisch sei und irgendwie kein Spaß mache, jeden Moment damit rechnen zu müssen, nicht mehr aus dem Ort heraus zu kommen, wenn die Ereignisse sich überschlagen. Es fühlt sich wie in einem Fictionthriller an. Zuerst nimmt keiner die Gefahr hier besonders ernst, da es am anderen Ende der Welt geschieht, China ist weit weg. Aha, ein neuer Virus, es reiht sich in die Folge der Schweinegrippe und Vogelpestepedemie ein, die wir als normale Bürger ohne große Einschränkungen bereits mitbekommen haben. Sonst würde jemand die Flüge nach China sofort stoppen, wenn der Virus so schlimm wäre.
Als im Fernsehen die dramatische
Entwicklung mit der Abriegelung der Millionenstädte in China zu sehen ist und
die erste chinesische Geschäftsfrau in einem Meeting in Starnberg den ersten
Deutschen infiziert hat, glauben wir hier immer noch nicht, dass es uns in
Deutschland so stark erwischen würde. Einige der Nachrichtensprecher schalten
von „Schönen Abend noch“ auf „Bleiben Sie gesund“ um. Die Zeit mit den Fastnachtsumzügen
vor uns, entscheide ich mich persönlich, für meinen jährlichen Fastnachtsfilm sicherheitshalber
einen der ersten Umzüge im Schwarzwald Anfang Februar auszuwählen mit dem
Hintergedanken, dass in den Bahnen der Virus noch nicht so verbreitet sein wird
als mitten in der Hochzeit an den Fastnachtstagen selbst ( für Interessierte:
ist unter meinem Kanal Sommeradler in Youtube zu sehen). Erste Hygienestandards
sieht man schon bei den Narrenzünften (Bezeichnung für die Fastnachtsvereine in
der schwäbisch-alemannischen Fasnet). Jeder trägt seinen eigenen Becher am
„Häs“(Bezeichnung für Kostüm).
Italien rückt mit den ersten
Corona-Fällen in den Fokus der Medien, ich wundere mich noch, dass die
anstehenden Fastnachtsgroßveranstaltungen nicht abgesagt werden, obwohl in der
Gemeinde Heinsberg in Nordrhein-Westfalen sich durch eine Ehepaar sehr viele
Menschen während einer Fastnachtssitzung infiziert haben und auch Kindergärten
geschlossen wurden, und sich damit 356 Fälle zwei Wochen in Quarantäne sich
befanden. Es heißt, man wolle keine Panik verbreiten. Isolation, die mit Quarantäne
gleichgesetzt wird, hat einen negativen ersten Eindruck. Man assoziiert damit Wörter wie Isolationshaft. Die Jüngeren im Büro fragen, ob wir Älteren (Jahrgänge vor
1980) in der Vergangenheit etwas Ähnliches erlebt haben, eine Gefahr, die nicht
greifbar und sichtbar ist. Ja, das gab es: mit dem Auftreten der ersten AIDS
Fälle, den Smogtagen und der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl.
Zu diesen Zeiten kamen auch
die unterschiedlichsten Empfehlungen und Anweisungen verbunden mit einer
enormen Unsicherheit, ob man dies oder jenes noch essen oder tun darf ohne sich
langfristig zu schaden. Allein die Einschränkung kein frisches Gemüse mehr
essen zu dürfen (Pilze "strahlen" heute wohl immer noch in Teilen) in den ersten Wochen nach dem Reaktorunglück und sich nicht auf
den Rasen zu setzen oder länger im Freien aufzuhalten, das war ein sehr
unangenehmes Gefühl. Mit einem entscheidenden Unterschied: die Informationen
erhielten wir ohne Internet und Handy, nur via Zeitung, Radio, Fernsehen und
Mundpropaganda. In der jetzigen Zeit gehen die Informationen und Meinungen in
einer viel schnelleren Zeit komplett um den ganzen Globus – zum Vorteil und zum
Nachteil, wenn es sich um Falschmeldungen oder Verschwörungstheorien handelt. Trau, schau, wem.
Zurück zum heutigen Tag: es sind
frühlingshafte 16 Grad, trotzdem sind in der Innenstadt nur sehr wenig Menschen
unterwegs. Nur an der Eisdiele und den Haltestellen sind mehrere Menschen auf
einmal zu sehen. Die Cafes sind meistens komplett leer.
Darmstadt, Herrengartencafé, Dienstag, 17. März 2020, 14.30 Uhr |
Letzte Woche hatten die Bundesländer beschlossen die Schulen
und Kindergärten komplett schließen zu lassen und nur Sonderbetreuung für die
Kinder von Eltern von bestimmten unabkömmlichen Berufen anzubieten. Während ich in der Stadt unterwegs bin, begegnen mir gefühlt sechsmal Streifenwagen. Polizei auf fast leeren Straßen wirken gespenstisch.
Darmstadt, Schulhof Eleonorenschule, 17. März 2020, 13 Uhr normalerweise voller Schüler, die nach Hause gehen, heute bis auf Weiteres leer |
Die Grenzen
zu einigen Nachbarstaaten wurden komplett geschlossen und lassen nur noch
Warenlieferungen und Berufstätige passieren. Gestern hatte die Bundesregierung
angekündigt, alle nicht lebenswichtigen Geschäfte in Kürze schließen zu lassen
und die Restaurantöffnungszeiten einzuschränken. Mit der aktuellen
Ausgangssperre in Österreich vor Augen ist jeder gespannt, ob das Schließen der
Läden in Deutschland ausreichen wird, da sich viele Leute daran nicht halten.
Vielleicht auch die Ausgangssperre kommt. Die Sterberate in Italien schnellt in
die Höhe. Trump redet von „Wir sind im Krieg.“ Mir fällt ein, dass einige schon
diskutiert haben, ob die Bundeswehr wie bei Hochwasser im Notfall anrücken
wird, wenn z.B. Lastwagenfahrer erkranken und notwendige Lieferungen nicht mehr
aufrechterhalten werden können. In meinem Umkreis haben einige bereits eine
Erkältung gehabt, einige Verdachtsfälle wurden getestet. Im Büro kamen immer
mehr Mails, wie man sich verhalten sollte, eine Taskforce wurde gegründet, die
Fragen beantwortet.
Darmstadt, Liebigstraße, 17. März 2020 11:40 Uhr |
Als die Dienstreisen schon seit
Anfang Februar nacheinander abgesagt wurden, die Anzahl der „Risikoländer“ sich
immer weiter erhöhte, immer mehr im Homeoffice unter Quarantäne für zwei Wochen
arbeiten mussten, schlich sich in uns allen der Gedanke ein: kommt hier in der
Firma irgendwann ein Shutdown? Wie können wir die Geschäftsfähigkeit aufrechterhalten?
Gerüchte gehen um: es gibt einen Verdachtsfall, der getestet wird….im anderen
Gebäude. Am nächsten Tag heißt es: Entwarnung. Alle scheinen zu warten: wann
kommt er, der erste positiv getestete Mitarbeiter in meinem eigenen
Bekannten/Kollegenkreis?. Können wir die abgesagten Geschäftsevents in den Juni
schieben oder ist es da noch unsicher ob die Veranstaltungssperre aufgehoben
sein wird? Unser Abteilungsleiter entscheidet vorletzte Woche, dass wir uns im
Büro abwechseln sollen, wo möglich, nur die Hälfte der Mannschaft ist präsent,
der Rest arbeitet zuhause, damit im Worstcase einer Infektion eine Hälfte den
Betrieb noch aufrecht erhalten kann. Das Gesicht meines obersten Chefs werde
ich nie vergessen, wie er gestern plötzlich ins Büro mit seinem Handy reinkommt
– ich war bereits schon alleine und die anderen zuhause arbeitend: „Ist es
wirklich schon so schlimm? Hast du schon was mitbekommen in Richtung shutdown,
das, was die Bundesregierung eben entschieden hat?“ Resultat: zusammen mit der
Schulschließung bleiben nun wirklich alle homeofficefähigen Mitarbeiter
zuhause, auch ich. „Bis auf Weiteres…“, ein Kollege rief mir winkend zu (das
Händeschütteln haben wir uns schon längere Zeit abgewöhnt):“ Mal sehen, wann
wir uns wiedersehen.“ - Fühlt sich
irgendwie irreal an: wir in dieser hochindustrialisierten Gesellschaft
ergreifen Maßnahmen, die sonst nur in Kinofilmen in Katastrophen- oder
Kriesgsszenarien vorkommen. Grenzschließungen mit Kontrollen, plötzlich sind
die Grenzbäume nicht ausgedient.
Obwohl der partielle Shutdown
erst morgen oder übermorgen greifen wird, ist schon heute Darmstadt so leer wie
sonst nie um diese Zeit. Ältere Leute sehe ich so gut wie gar nicht während ich
mit dem Rad die 4km in die Stadt zum Zahnarzt radel. Die Empfehlung zuhause zu
bleiben, haben viele ernst genommen. Das Lied „Allein, allein“ von Polarkreis
18 von 2009 kommt mir in den Sinn.
Mir fällt auf, dass die Luft
aufgrund des fehlenden normalen Verkehrs an den Hauptstraßen hervorragend ist.
Überall zwitschern die Vögel und das in der Großstadt. Beim Zahnarzt hängt ein
großes Warnschild, dass man mit grippalen Symptomen die Praxis nicht betreten
soll. Es sitzt niemand im Wartezimmer, es ist alles so ungewohnt ruhig, als ob
man sich in einem Wellnesshotel befindet. Kein Bohren zu hören. Der Patient vor
mir verlässt die Praxis. Im Hintergrund höre ich, wie im Radio die Meldung in
der hessischen Regierung mit Empfehlung der Reduzierung der sozialen Kontakte
kommt. In der Zeitung lese ich heute morgen, dass die meisten Älteren, die noch
die Vertreibung und Krieg erlebt haben, keine Angst vor dem Virus hätten. Der
Anblick von leeren Regalen würde sie nicht schockieren, das kennen sie noch von
früher nach dem Krieg oder aus der DDR. Man kauft eben das, was es eben gerade
gibt und man wird erfinderisch. In der Begrenzung der Möglichkeiten entstehen manchmal die besten Ideen.
1 Monat vor der gesetzlichen Einschränkung, 20. Februar 2020, Wismar Restaurant "Alter Schwede", noch gibt einige Besucher |
Idee auch für Kinder: aus aussortierten Zeitschriften und Werbeblättern Bilder ausschneiden und zu Collagen kleben |
...dann kann so etwas dabei herauskommen :-).. |
Ich frage mich, über was die
Journalisten im Sportteil schreiben werden, wenn jetzt alle
Sportveranstaltungen untersagt worden sind. Der Kulturteil mit fehlenden
Veröffentlichungen. Vielleicht gibt es dafür neue Quellen für virtuelle Kultur,
die eine neue Blütezeit erleben wird. Aha, Amazon stellt Tausende von neuen
Mitarbeitern an, da die Leute nicht mehr rauskönnen, der Versandhandel jedoch
noch möglich sein wird. Die Spargelbauern bei uns in der Umgebung suchen händeringend
nach Saisonarbeitern, da bis jetzt nur ein Teil durch den Virus abgedeckt ist
und neue Leute zeitintensiv in der Technik angelernt werden müssten und
außerdem viele diese körperlich sehr anstrengende Arbeit nicht durchhalten
würden. Schüler bieten sich für die leichteren Arbeiten an. Das erinnert mich an die Kriegsgeschichten der inzwischen verstorbenen Verwandten, die erzählt hatten, dass sie in Schulklassen auf Kartoffeläckern den Kartoffelkäfer absammeln mussten.
geschlossene Spielplätze in Darmstadt |
Ich erfahre, dass die
Krankenkassen seit heute keinen persönlichen Kontakt mehr erlauben, die Anträge
für Kronen können nur noch eingeworfen oder per Post geschickt werden. Wir
lernen Geduld. Ich bin schon sehr froh, dass der Zahnarzt nicht selbst krank
ist und praktizieren kann.
Darmstadt ist mit der Technischen Universität und Hochschule eine große Studentenstadt. Studenten sehe ich nur vereinzelt, die Vorlesungen wurden bereits untersagt. Ich kann mir vorstellen, dass sich eine Ausgangssperre in engen WGzimmern ohne Balkon nicht gut anfühlen würde und viele in ihre Heimatorte zurückgekehrt sind. Deutsche Urlauber, die aufgrund der ausgefallenen Flüge oder anderen Einschränkungen im Ausland festsitzen, werden mit Sondermaschinen nach Deutschland zurückgeholt. Das erinnert mich ein wenig an die biblische Weihnachtsgeschichte, in der alle aufgerufen wurden an ihren Geburtsort zur Zählung zurückzukehren.
Darmstadt ist mit der Technischen Universität und Hochschule eine große Studentenstadt. Studenten sehe ich nur vereinzelt, die Vorlesungen wurden bereits untersagt. Ich kann mir vorstellen, dass sich eine Ausgangssperre in engen WGzimmern ohne Balkon nicht gut anfühlen würde und viele in ihre Heimatorte zurückgekehrt sind. Deutsche Urlauber, die aufgrund der ausgefallenen Flüge oder anderen Einschränkungen im Ausland festsitzen, werden mit Sondermaschinen nach Deutschland zurückgeholt. Das erinnert mich ein wenig an die biblische Weihnachtsgeschichte, in der alle aufgerufen wurden an ihren Geburtsort zur Zählung zurückzukehren.
Die Dynamik der vielen Meldungen
ist enorm, alle Leute hier in Deutschland haben ein verbindendes Thema, die
einen skeptisch, die anderen optimistisch, weil sie so jung sind, dass es sie
wohl nicht oder mit geringen Symptomen erwischen wird, ein anderer Teil lässt
sich mit allen Nachrichten berieseln. Ich frage mich persönlich, wie man wohl
schlafen geht, wenn man sich den ganzen Tag mit allen möglichen Horrorszenarien
beschäftigt hat. Irgendwo muss das auch verarbeitet werden. Ich beschränke mich
auf einmal im Tag, den Rest bekomm ich vom Familienkreis und Bekannten am
Telefon mit. Vielleicht kommen wir wieder in das „nicht schon wieder das Thema“
Gefühl, wenn die Journalisten über Monate von nichts mehr anderem berichten,
ähnlich wie bei der Griechenlandkrise oder dem Brexit.
Da ich in einer großen Familie
mit Haus und Garten wohne, geht es mir noch sehr gut, auch wenn die komplette
Ausgangssperre kommen würde. Ich denke da eher an die Menschen, die in
Wohnungen ohne Balkon wohnen und im Quarantänefall gar nicht raus könnten. Und
die ganzen Menschen, die alleine wohnen und nicht die Möglichkeit des virtuellen
Austausches haben. Wir dürfen lernen uns selbst auszuhalten, werden an einigen
neuen Gewohnheiten und Situationen an Grenzen stoßen werden. Andererseits
fangen Menschen in Notsituationen an sehr kreative Ideen zu bekommen: man gibt
„Italiener singen Quarantäne“ in Youtube ein und sieht dort, wie dort einige
der Millionen von Italienern, über die die Ausgangssperre immer noch verhängt ist,
von ihren Fenstern aus zusammen singen. Not und Krisen rufen sichtlich auch
Hilfsbereitschaft hervor, hier bei uns in der Nachbarschaft gibt es inzwischen
schon einige Leute, die sich bereit erklären Gassi mit dem Hund zu gehen, falls
jemand unter Quarantäne steht und nicht vor die Tür gehen darf.
Und jetzt kommen sie, die Chancen
dieser Krise: ich bin mir sicher, dass die Lieferketten neu überdacht werden,
ob die Produkte nur aufgrund der Personalkosten rund um den Globus hin und
hergeschickt werden. Ob Konsumenten bereit sind, mehr für ein Produkt zu
bezahlen, das in Europa produziert wird.
Wir dürfen als gewohnt „All
Inclusive“ Gesellschaft auch mal erfahren, wie es sich mit Einschränkungen
lebt. Viele Abenteurer erzählen von ihren Reisen, dass allein sauberes Wasser
aus dem Hahn zu bekommen reiner Luxus ist. Erst in eine solchen Situation wird
uns das bewusst, was wir wirklich brauchen. Ähnlich wie bei einer Wanderung
oder beim Camping: dort nehmen wir nur das Allernotwendigste mit. Und sind trotzdem
zufrieden, weil wir feststellen: so viel braucht der Mensch eigentlich gar
nicht.
Wasserturm, Bismarckstraße Darmstadt |
Die soziale Einschränkung, der
fehlende Körperkontakt zu anderen, ja, das ist schwer. Ich erwischte mich
selbst, wie oft ich am Anfang die Hand entgegenstreckte, wenn ich jemand sah.
Eigentlich schade. Ein Glück, dass die digitale Welt die Videokonferenzfunktion
ermöglicht, das lindert das Gefühl „abgeschottet“ zu sein.
Interessanterweise habe ich einen
besonderen Effekt der Reduzierung neulich erfahren. Das zur Ruhe kommen.
Normalerweise drehe ich auf der Luminale in Frankfurt mit über 200
Veranstaltungen alle zwei Jahre zwei bis drei Lichteffektshows, schneide diese
für den Youtubekanal. Neben meiner normalen Arbeit möglichst zeitnah den Film
zu schneiden kostet viel Zeit und Energie, ein ziemlicher Druck. Eine Mischung
aus Neugier, Freude am Visuellen und Teilen motiviert mich normalerweise dazu.
Dieses Jahr war es anders. Nachdem die Veranstaltungen in den Innenräumen
aufgrund von Corona schon abgesagt wurden, suchte ich mir die Außenveranstaltung
aus, von der ich wusste, dass die Menschen nicht ganz so geballt davor stehen würden,
ich würde nicht mit der S-Bahn fahren, sondern , ganz unüblich für mich,
ausnahmsweise das Auto nehmen und den Rest zu Fuß in die Stadt laufen. Die
Absage für die Luminale erhielt ich von Leuten, die am Puls der Zeit einen
Nachrichtenticker für die neuesten Nachrichten auf ihrem Handy besitzen und nur
6 Stunden vor Beginn der Großveranstaltungen diese Nachricht der Absage
erhielten. Am Anfang hielt ich eine solche Funktion für sensationslüstern,
ständig auf dem aktuellen Stand sein zu wollen. In diesem Fall hat es mich
davor bewahrt, unnötig nach Frankfurt reinzufahren. Schade, dachte ich
einerseits, um die Veranstalter und die viele Zeit, die über ein Jahr bereits
investiert wurde und dann diese sehr sehr kurzfristige Absage…..Und welche
Kosten damit verbunden sein müssen.
Bis plötzlich die Enttäuschung
einem anderen Gefühl wich: „Jetzt hast du mehr Zeit und brauchst dich nicht
hetzen.“ Auch die anderen Events und sozialen Treffen der letzten Tage, die
abgesagt wurden, schaffen mehr Raum darüber nachzudenken, „was wollte ich denn
hier im Haus eigentlich immer schon mal machen?“. Welche Dinge schiebe ich vor
lauter Beschäftigung außerhalb vor mir her? Ausmisten vom Keller…. wenn die
größeren Kinder aus- oder umziehen, bleibt immer das ein oder andere übrig,
soll das für die Kleineren noch aufgehoben werden oder kann das weg. Die vielen
„kann ich eventuell noch gebrauchen“ Kleinteile, die ein kreativer Mensch wie
ich gerne mal in Kisten reinwirft. Und mit dem Ausmisten wieder neue Ideen
entstehen werden, die ich teilen kann.
Wie werden wir damit zurechtkommen,
ein Ausnahmezustand von Angst vor Ausgangssperre und Lieferkettenunterbrechung,
die drohen könnte mit all den Hamsterkäufen von Toilettenpapier und Nudeln hier
in Deutschland – wir haben persönlich nicht gehamstert und standen vor einem
leeren Regal – die äußerlichen Beschränkungen, die immer mehr zunehmen? Werden
wir uns auf den Keks gehen in der Familie, wenn wir alle im Homeoffice arbeiten? Werden die Server die zusätzlichen Homeofficezugriffe bewältigen können? Wir sind gewohnt, Abwechslung zu haben. Fühlt man sich dann eingesperrt,
beschränkt? Oder wird uns die berühmte innere Leere überkommen? Es fällt mir
ein weiteres Lied aus der Schulzeit ein:“Die Gedanken sind frei, wer kann sie
erraten, sie fliegen vorbei, wie nächtliche Schatten, kein Mensch kann sie
wissen, kein Jäger erschießen…“. Trotz aller äußerlichen Beschränkungen ist der
Mensch innerlich frei.
Er hat nun die Möglichkeit durch den Wegfall des Korsetts der Verpflichtungen aus seinem Hamsterrad zu schauen, welchen Sinn und Werte er verfolgt, interessante Aspekte seines anderen Gefühlsspektrums kennenzulernen. Er darf lernen sich selbst auszuhalten. Er hat die Möglichkeit mal wieder ein Buch zu lesen oder sich einem Thema zu widmen, für das er bis jetzt sich nie die Zeit genommen hat. Es ist meine persönliche Annahme, dass besonders für die Perfektionisten die nächste Zeit sehr schwierig werden wird, da das Wertschätzen in der Arbeit und Gesellschaft wegfällt und nun der Fokus auf sich selbst oder auf die Familie fällt. Alle dürfen sich fragen, was macht eigentlich wirklich Sinn für mich, was will ich in Zukunft ändern. Wir haben die Chance genau hinzuschauen, von was wir uns beeinflussen lassen, was schaue ich mir den ganzen Tag eigentlich an oder lasse ich mich von einem Filmchen in Youtube zum nächsten treiben und ablenken von meinen eigentlichen Zielen. Was wäre denn mein perfekter Monat, was würde ich wie viel jeden Tag den am liebsten machen, auf der Arbeit, in der Familie, in der Freizeit. Das Schlüsselwort hierfür: Selbstreflektion.
Wer lieber aktiv ist, darf auch gerne ausmisten bei sich zuhause. Es gibt sicherlich bei jedem eine Ecke, Schublade oder Raum die als „Zwischenlager“gedient haben. Anrufen kann man auch noch, d.h. eine Isolationshaft wie im Gefängnis ist es nicht. Ich hatte schon mehrere sehr intensive tiefgehende Telefongespräche, die nur aufgrund der „mehr“ Zeit zuhause möglich waren. Viele Entscheidungen treffe ich schon seit längerem mit dem Filter:“Davon stirbt keiner, wenn ich das jetzt nicht mache oder absage.“ Das Grenzen setzen fällt leichter.
Weidende Schafe, Lärmschutzwall Arheilgen an der B3, 17. März 2020, 18:10 Uhr |
Er hat nun die Möglichkeit durch den Wegfall des Korsetts der Verpflichtungen aus seinem Hamsterrad zu schauen, welchen Sinn und Werte er verfolgt, interessante Aspekte seines anderen Gefühlsspektrums kennenzulernen. Er darf lernen sich selbst auszuhalten. Er hat die Möglichkeit mal wieder ein Buch zu lesen oder sich einem Thema zu widmen, für das er bis jetzt sich nie die Zeit genommen hat. Es ist meine persönliche Annahme, dass besonders für die Perfektionisten die nächste Zeit sehr schwierig werden wird, da das Wertschätzen in der Arbeit und Gesellschaft wegfällt und nun der Fokus auf sich selbst oder auf die Familie fällt. Alle dürfen sich fragen, was macht eigentlich wirklich Sinn für mich, was will ich in Zukunft ändern. Wir haben die Chance genau hinzuschauen, von was wir uns beeinflussen lassen, was schaue ich mir den ganzen Tag eigentlich an oder lasse ich mich von einem Filmchen in Youtube zum nächsten treiben und ablenken von meinen eigentlichen Zielen. Was wäre denn mein perfekter Monat, was würde ich wie viel jeden Tag den am liebsten machen, auf der Arbeit, in der Familie, in der Freizeit. Das Schlüsselwort hierfür: Selbstreflektion.
Wer lieber aktiv ist, darf auch gerne ausmisten bei sich zuhause. Es gibt sicherlich bei jedem eine Ecke, Schublade oder Raum die als „Zwischenlager“gedient haben. Anrufen kann man auch noch, d.h. eine Isolationshaft wie im Gefängnis ist es nicht. Ich hatte schon mehrere sehr intensive tiefgehende Telefongespräche, die nur aufgrund der „mehr“ Zeit zuhause möglich waren. Viele Entscheidungen treffe ich schon seit längerem mit dem Filter:“Davon stirbt keiner, wenn ich das jetzt nicht mache oder absage.“ Das Grenzen setzen fällt leichter.
Für uns persönlich war der letzte
Sonntag ein Ahaerlebnis: wir haben lange nicht mehr so viele Menschen auf den
Straßen, Feldern und Wald spazieren gehen sehen. Die Luft so toll wie nie, die
Ruhe eine Wohltat, da wir normalerweise den startenden Flugzeugen mit dem
verbundenen Fluglärm vom Frankfurter Flughafen ausgesetzt sind. Darmstadt hat
eine der höchsten Schadstoffemissionen in Deutschland mit teilweise gesperrten
Straßen für Dieselmotoren der älteren Bauart. In Tagen wie diesen wird sich
dieser Wert so verbessern, dass wir bald Kurstadt werden könnten. Man erzählt,
dass der Smog in Wuhan nach den ersten Wochen der Schließung schon nicht mehr
vorhanden sei bzw. zum ersten Mal sichtbar aus dem All, ein besseres Beispiel
für mehr Maßnahmen im Rahmen der Änderung der Mobilität der Menschen gibt es
nicht. Die Natur blüht auf, der Mensch kommt zur Ruhe, solange er nicht zu der
Krankheit bezogenen Menschen gehört, die im Dauereinsatz sind oder zu den Menschen,
die die Folgeschäden für die Wirtschaft abwenden zu versuchen. Wir können den
Menschen nicht genug danken für ihren Einsatz. Das mulmige Gefühl, wann und ob
uns das Schicksal von China und Italien auch ereilen wird bleibt. Zu wissen,
dass die Intensivbetten nicht reichen könnten und die Menschen, die darunter
leiden, ein unwürdiger Tod erwartet ohne Begleitung von Angehörigen in den letzten
Minuten wie in Italien, wo inzwischen im Lokalanzeiger L´Eco di Bergamo (Stand 18. März) die
Todesanzeigen täglich elf Seiten füllen statt der üblichen ein bis zwei Seiten. Treffend beschreibt es ein deutscher Kollege in Italien:"Hier hoffen alle, das Jammertal bald durchritten zu haben. "
Der Vorstand und die Eigentümer unserer Firma melden sich mit Stellungnahmen zur Lage, sie appellieren, wie wichtig es ist Zuversicht und Ruhe zu bewahren und nicht in Panik zu verfallen, der letzte Satz "Zusammenhalt ist das Gebot der Stunde." schwingt nach. Die aktuelle Zeit wird in Erinnerung bleiben, nichts verbindet so stark wie eine gemeinsam durchlebte Krise. Nachtrag 18.03.2020: Frau Merkels Rede an die Nation verstärkte diesen Eindruck um ein Weiteres. Allen Beteiligten und Helfern, die das Schlimmste versuchen zu verhindern und Menschenleben retten, sei an dieser Stelle gedankt. Im Hinterkopf erklingt bei mir das "Wir sind ein Volk!" aus den Zeiten des Mauerfalls.
Der Vorstand und die Eigentümer unserer Firma melden sich mit Stellungnahmen zur Lage, sie appellieren, wie wichtig es ist Zuversicht und Ruhe zu bewahren und nicht in Panik zu verfallen, der letzte Satz "Zusammenhalt ist das Gebot der Stunde." schwingt nach. Die aktuelle Zeit wird in Erinnerung bleiben, nichts verbindet so stark wie eine gemeinsam durchlebte Krise. Nachtrag 18.03.2020: Frau Merkels Rede an die Nation verstärkte diesen Eindruck um ein Weiteres. Allen Beteiligten und Helfern, die das Schlimmste versuchen zu verhindern und Menschenleben retten, sei an dieser Stelle gedankt. Im Hinterkopf erklingt bei mir das "Wir sind ein Volk!" aus den Zeiten des Mauerfalls.
Mit allem Schrecken und
Schicksalen mit Tausenden von Toten bietet Corona hoffentlich Chancen, aus
denen wir für die Zukunft lernen können. Wir werden vielleicht die ein oder
falsche Entscheidungen getroffen haben, jedoch wichtige Erfahrungswerte für die
Zukunft sammeln, die in der Theorie einfach nicht durchgespielt werden können.
In denen die Entscheider bis jetzt keine Notwendigkeit für mehr Investition
gesehen haben. Zulassungen vielleicht beschleunigt werden können, das
Klimathema noch mehr an Fahrt aufnimmt. Die Wirtschaft kann neue Hebel
entwickeln, um ein solches Ereignis in Zukunft anders stemmen zu können. Erinnern
wir uns an den Börsencrash 2007, damals ist fast eine Welt zusammengebrochen.
Als die Börse in den letzten zwei Wochen massive Verluste anzeigte, war man
eher geneigt zu sagen: „Ok, das kennen wir, da haben wir nun Verluste, die wir
einfach durchstehen werden. Nur nicht panisch werden und irgendetwas verkaufen.
Das wird sich irgendwann erholen.“ Der Verstand sagt:“Es ist erstmal nur Geld.
Die Gesundheit geht vor, wir brauchen Geduld.“ In einigen Jahren werden
Begriffe wie „damals in der Coronazeit, in den Coronaferien“ in den Wortschatz
eingehen, von denen wir unseren Enkeln noch erzählen können. Keine noch so gute
Katastrophenfallübung ist so lehrreich wie ein wirkliches erlebtes Ereignis,
auch wenn es eine reine Tragödie ist, wie viele Menschen für diese Erfahrungen
sterben müssen. Auch wenn es der Jugend im ein oder anderen Fall schwerfällt zu
verstehen, warum die Maßnahme und der Appell an die Vernunft notwendig sind,
später werden sie verstehen, was es heißt, der sozialen Gemeinschaft zu dienen,
ein gemeinsames Ziel zu verfolgen.
Darmstadt, Kasinostraße, 17. März 2020, 14:50 Uhr eine der Hauptachsen Darmstadts |
Wer sie noch nicht kennt - die offizielle Tabelle, die zeigt, warum es notwendig ist den Höhepunkt des Ausbruchs durch Maßnahmen zu verzögern, sodass das Gesundsheitssystem und die darin arbeitenden Menschen nicht überlastet werden und zusammenbrechen:
Und ganz zum Schluss ist mir eben eingefallen, dass vor zwei Wochen doch zwei Menschen in meinem größeren Bekanntenkreis gestorben sind, beide mit Erkrankungen von Demenz bzw. Parkinson, beide über 80. Bei beiden wurde nicht auf Corvid-19 getestet….die Dunkelziffer wird sicherlich noch höher sein. Einer der betroffenen Söhne fragt sich, ob die Beerdigung überhaupt wie geplant stattfinden kann, ohne dass weitere Senioren ernstlich erkranken, es in der Verantwortung des Einzelnen liegt zu dieser Beerdigung zu kommen, sowie die Entscheidung, den Trauernden nicht zu umarmen, weil es die Vernunft gebietet…..eine Herausforderung des Umdenkens für die nächsten Wochen und Monate für uns alle steht an.
Und ganz zum Schluss ist mir eben eingefallen, dass vor zwei Wochen doch zwei Menschen in meinem größeren Bekanntenkreis gestorben sind, beide mit Erkrankungen von Demenz bzw. Parkinson, beide über 80. Bei beiden wurde nicht auf Corvid-19 getestet….die Dunkelziffer wird sicherlich noch höher sein. Einer der betroffenen Söhne fragt sich, ob die Beerdigung überhaupt wie geplant stattfinden kann, ohne dass weitere Senioren ernstlich erkranken, es in der Verantwortung des Einzelnen liegt zu dieser Beerdigung zu kommen, sowie die Entscheidung, den Trauernden nicht zu umarmen, weil es die Vernunft gebietet…..eine Herausforderung des Umdenkens für die nächsten Wochen und Monate für uns alle steht an.
Sonnenuntergang auf dem Lärmschutzwall mit vielen anderen Spaziergängern, B3 von Richtung Darmstadt nach Langen bei Arheilgen, 17. März 2020, 18:22 Uhr |
Wie viele anderen aus unserem Stadtteil habe ich eben noch den Sonnenuntergang auf dem Lärmschutzwall (von Lärm kann man aktuell buchstäblich nicht mehr reden) beobachtet, natürlich mit Abstand, etliche Familien fahren um diese Zeit mit ihren Kindern noch Fahrrad auf den Wegen in den Feldern und den Wald. Es ist eigentlich ein normaler Werktag und man könnte denken, es wäre ein Feiertag. Vor Corona gab es solche Bilder werktags nicht.
Wie heißt es in den großen Blockbustern: „und es ist nichts mehr so wie es vorher war.“
Irgendwann wird der Tag des Coronaausbruchs als Datum in den zukünftigen Geschichtsbüchern stehen.
Wie heißt es in den großen Blockbustern: „und es ist nichts mehr so wie es vorher war.“
Irgendwann wird der Tag des Coronaausbruchs als Datum in den zukünftigen Geschichtsbüchern stehen.
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