Tiritamba versus 50 plus und Lopo Revival Party



Blog 15 -  Frankfurt, Rosenmontag 2013 im Living Club-Restaurant.

Tiritamba nennt sich die Faschingsparty dort, die laut Internet einen Käfig voller Narren verspricht. Von den Afterwork Party her kenne ich das Living schon, also warum nicht mal zur Kostümzeit abtanzen. Mit zwei Mitstreiterinnen kostümmäßig aufgehübscht und dort aufgelaufen. Wie bei den Afterwork Partys ist im Eintrittspreis das Buffet inklusive, bis dieses dann abgeräumt und die Tanzfläche freigegeben wird.  Das Publikum ist vom Alter her recht gemischt und auf der Tanzfläche überwiegt, wie schon vor 25 Jahren in Discos üblich, der Frauenanteil.
 
Wir sind erstaunt, dass ein großer Teil der Fastnachter trotz der Rosenmontagsumzüge  aufgrund Minusgrade nicht in der Umgebung versumpft ist und den Weg hierher gefunden hat.

Bei den Kostümen haben sich einige sehr viel Gedanken bis ins Detail gemacht. Von Lara Croft über Catwoman bis hin zu Avatar und Babydoll. Bei der anschließenden Prämierung hat zu Recht nicht das perfekteste Kostüm gewonnen, sondern das originellste: ein Mann hat sich als Gießkanne verkleidet, indem er eine echte Gießkanne vorne ausgeschnitten hat, diesen Teil über den Kopf zog und das Ausgussteil sich vorne an seiner grünen Arbeitshose umschnallte. Bilder davon finden sich auf der Living-Homepage.

Das Wichtigste dabei: sehen und gesehen werden. Je schillernder desto besser.  Dazu reicht auch eine einfache goldfarbene Rettungsfolie um aufzufallen.  Après Skiparty Hits wie Döner, Cowboy & Indianer werden mit englischen Hits gemischt. Da wir als „Disco-Dinosaurier“, die sehr selten Discos aufsuchen, die Abfolge der Handbewegungen noch nicht kennen, fordert das Nachahmen unsere volle Aufmerksamkeit.  Im Laufe des Abends werden mit steigendem Alkoholspiegel diese Bewegungen von einigen dann nur noch in Zeitlupe oder mit deutlichen Koordinationsschwierigkeiten durchgeführt, was Gelächter rundum auslöst. Es erinnert mich zeitweise sogar an Seniorenturnen.

Meine Freundin verliert nach jeder Hopsrunde immer mehr Federn ihrer Federboa. Der Mann neben mir neben mir im Morphsuit (Allkörperkostüm, auch über das Gesicht) transpiriert inzwischen so sehr, dass sein Abstand zu den Nachbartänzern sich vergrößert. Er fällt natürlich sehr durch das ungewöhnliche Kostüm auf,  verspielt sich jedoch  durch dieses Gesichtsbedeckung leider jegliche Flirtchancen, da man gar nicht weiß, welcher Typ darunter steckt geschweige denn, wo er genau hinschaut.

Hauptsache, es macht Spaß. Motivationstänze wie Polonaise sind ein Muss. Ich freue mich, dass folgender Versuch klappt: während der Polonäse schnappe ich die Hände meines verdutzten Hintermannes und bilde damit eine Brücke mit den Armen und bitte die anderen gebückt durchzulaufen und desgleichen nach dem Durchlaufen zu tun. Der Domino-Nachahmungseffekt der Brückenpolonäse ist geschafft. Der Herdentrieb funktioniert wie das Schunkeln sogar ohne Anweisung des DJs. Solche Dinge sind ansteckend.

Endlich erlebe ich live neben mir, was meine größeren Jungs unter „Antanzen“ verstehen: während eines ruhigeren Liedes tanzt sich ein Junge an ein Mädchen von hinten an, eng an eng während des ganzen Liedes, dann wird etwas geknutscht. Paar Lieder später sind die beiden wieder in verschiedenen Ecken der Tanzfläche und haben den Rest des Abends keinen Kontakt mehr. Hat wohl nicht so gut geklappt? Naja, es gibt sicherlich Regeln, die wir „Alten“  nicht kennen. Vor zwanzig Jahren hätte dieser Junge von mir den Ellenbogen in den Bauch bekommen, wenn er so angetanzt gekommen wäre ;-). 

Einige Mädchen, die in größeren Gruppen tanzen,  schauen sehnsüchtig nach allen Seiten, ob sie nicht doch irgendjemand erhaschen, der sie toll finden könnte. Um andere Mädchen mit kokettem Lächeln wiederum scharen sich die Jungs. 

Kontrastprogramm einen Monat später: Centralstation Darmstadt, plus minus 50 Party. O.k., die 50 habe ich noch nicht erreicht, jedoch dürfte die Musikrichtung auf jeden Fall unseren Geschmack treffen. Wieder in der gleichen Konstellation wie im Living hingefahren. Wir haben den Tipp bekommen, dass man sich den Mantel sparen kann, wenn man in der Carree-Tiefgarage parkt und den direkten Aufgang zur Centralstation nutzt. 

In der Tiefgarage entdecken wir weniger Familienkutschen als sportliche Autos. Zusammen mit Alfa Romeo, zwei Porsches, mehreren Minis und einer Sportausgabe eines Chevrolets, der für den Parkplatz viel zu lang ist, merke ich, dass bei einer „plus minus 50 Party “ eine andere Liga tanzt. Alle lebenserfahren, viele geldmäßig komfortabel versorgt, manche vielleicht geschieden und wieder auf Partnersuche, wer weiß.  Einige auf jugendlich getrimmte Besucher sehen von hinten kleidungs- und frisurenmäßig aus, als ob sie 30 wären. Wenn da nicht die verräterischen Falten im Gesicht wären, wenn sie sich umdrehen. Manche versuchen mit viel Schminke einiges zu kaschieren – einer nannte es mal „Stuckarbeit“ -  jedoch ist ein großer Teil sehr authentisch natürlich unterwegs.

Schuhtechnisch tragen viele Frauen die Tamaris-Variante mit mittleren Anti-Shock-Absätzen. Highheels sind im Gegensatz zum Living weniger vertreten.  Sneaker sind bei der Herrenwelt die Tanzschuhe schlechthin. Viele locker gekleidet  in Jeans mit Hemd.

Hier treffen wir  neben den grau-melierten Herren à la Clooney auch die ganz weißhaarigen, wenn sie überhaupt noch Haare tragen und nicht den aktuellen 3 Millimeterschnitt tragen. Beim Großteil der Frauen ist bei den Frisuren jegliche Färbenuance vorhanden.
Beim Eintrittskartenkauf fragt mich die Dame hinter dem Counter: “Für die Disco oben oder unten?“ Da ich noch nie hier war, schaue ich wohl sehr verdutzt. Sie hakt nach: “Normal oder 50plus. Oben findet die 50plus statt, und hier die normale Disco.“ -  „Aha,“ denke ich „ich sehe wohl (noch) nicht eindeutig wie typisch um die 50 aus.“  Später erfahre ich, dass in der unteren Disco meist nur Leute vom U30-Publikum unterwegs sind.

Im Aufzug nach oben begleitet uns eine hübsche Blondine, die freudestrahlend berichtet:“Da ist suuuper Musik oben, macht riesigen Spaß.“ Gute Laune steckt an. Der Mann neben mir lächelt verschmitzt. Wir betreten den stark abgedunkelten Raum. Die Akkustik ist relativ gut trotz der hohen Decken, allerdings die Lautstärke wie eh und je verdammt laut. Hier muss sich wieder mit Nach-vorn-Beugen unterhalten werden. Auf der Tanzfläche geht die Luzie ab. Egal welches Alter und welche Figur, dort tanzen wirklich die eingefleischten ehemaligen Discogänger. Durch das superdämmrige Licht sind Falten plötzlich kein Thema mehr, der Körperausdruck beim Tanzen zählt.  Mehrmals bin ich sehr überrascht, wie viel Energie in einigen Körpern steckt, auch bei den Männern (hier auf der Tanzfläche ist sogar ein ungewöhnlich hoher Anteil an Männern aktiv). Viele tanzen dort einfach aus Leidenschaft, weil das Lied oder der Rhythmus gefällt. Natürlich gibt es auch die Typen, die auffallen: einer,  der mit seinen grauen längeren schütteren Haaren und Biolatschen Headbanging versucht, eine in indischer Pomponhose gehüllte weiße kurzhaarige Dame, die mit geschlossenen Augen allerlei Armbewegungen wie in Trance vollzieht. Es macht Spaß ihnen dabei zuzuschauen. 

Viele Paare sind gekommen und tanzen einfachen 80iger Style, Tepp-weg, Tepp-ran mit leichter Schulterbewegung rechts und links. Das zufriedene Lächeln von vielen steckt an. Bei einigen Liedern wird auch spontan gehopst, da braucht es keine Faschingslaune oder DJ Anweisungen, die Arme gehen hoch und die Hände klatschen, so lange die Kraft eben reicht. Einige kennen die Liedtexte  auswendig und singen mit. Zu unserer Überraschung werden auch ganz aktuelle Lieder zwischendurch gespielt. Eine gute Mischung durch die Jahrzehnte von Elvira Weiss ala DJane Vira

Es stehen ungewöhnlich wenige Zuschauer um die Tanzfläche herum, da die meisten doch wohl eher zum Tanzen gekommen sind. Hier habe ich das Gefühl, dass es mehr um das „Fühlen der Musik und in der Bewegung“ als um das „Beobachten“ geht. Das komplette Abschalten beim Tanzen, die Alltagsthemen sind ganz weit weg.  Loslassen und treiben lassen.  Das ist der Unterschied zum Living, es sind mehr aktiv Tanzende als Beobachter da. Einige Gesichter sehe ich, die mir bekannt vorkommen. Woher kenne ich den nur, ach, stimmt,  aus der Arztpraxis von x. Hätte nicht gedacht, dass der so aus sich rauskommen kann. Nach zwei Stunden Durchtanzen sind wir erledigt und gehen mit einigen anderen gegen Mitternacht. Und das ist ein weiterer großer Unterschied zu den „normalen“ Discos. Während sich hier alles nach Mitternacht verläuft, geht es bei den normalen Discos um diese Uhrzeit erst richtig los.

Eine weitere andere Discoart: die Lopo Revival Party. Lopo´s Werkstatt in Darmstadt war von 1979 bis zum Schließen und Abriss 1993 eine Disco mit einem großen Fankreis, die regelmäßig an bestimmten Tagen vorbei schauten. Man konnte sich immer sicher sein, dass ein gewisses Stammpublikum dort war. Früher war dies ohne Handys ein Garant, dass zumindest irgendjemand von den Studenten von der „TH“ (heißt heute TU)  oder aus dem eigenen Schuljahrgang da war. Glücklicherweise arbeitete in unserem Jahrgang einer als Türsteher dort, was die Ausweiskontrolle beschleunigte - Frauen brauchten keine Gästekarte und mussten nichts bezahlen. 

Lopo´s Werkstatt - Ansicht von außen 1988

Das besondere war zum einen das Flair durch eine Straßenbahn einzutreten (die Garderobe war in einer zweiten Straßenbahn nebenan), um dann in einer Werkstatthalle unter einer Einpropellermaschine hindurchzuschreiten.  Rechts gab es eine Busbar in einem original englischen Bus, links von der Tanzfläche befand sich ein abgeschnittenes Führerhaus eines Citroens Lieferwagens, indem die DJs (u.a. Jojo) auflegten und die Platten aufbewahrten. Weiteres Highlight: eine gläserne Gogofläche ca. 3 Meter über dem Tresen.  Dorthin verschlug es entweder sehr gut tanzende Kandidaten/-innen, denen man gerne zuschaute und öfters ging auch mal ein Grüppchen hoch. Der Zugang war auf 3 Personen beschränkt, manchmal schafften es auch 4 Leute hoch, wenn sie vom Barpersonal nicht rechtzeitig von der Leiter runtergezogen wurden.  Wenn man ein paar Lieder dort oben getanzt hatte, konnte man am nächsten Tag in der Schule damit punkten.

Öfters gab es dort größere Gruppen von Mädchen, die manchmal wie „ein entlaufenes Mädchenpensionat“ (O-Ton eines Besuchers) auf der Tanzfläche wirkten. Vorteil: je mehr Mädchen desto mehr andere konnten beobachtet werden,  es wurde gelästert und gelacht, Jungs hatten an solchen großen Gruppen sicherlich keine große Freude ;-). Die Lasershow am Ende war immer ein Highlight und dank der Initiative vieler Mitarbeiter dort gelang es nach der Schließung 1993 vor einigen Jahren eine Website zu erstellen und eine Lopo Revival Party im zweijährlichen Rhythmus im Golden Löwen in Arheilgen zu organisieren. Mitsamt der original Gogofläche (nunmehr nur 1m über dem Boden), dem Logo, der Laseranlage und den Scheinwerfern.

Da die Stammkundschaft und Lopofamilie damals sehr groß war, sind die Karten für diese Veranstaltung meist nach Ankündigung auf der eigenen Webseite „lopos-werkstatt.de“  sehr schnell ausverkauft. Allein in wkw verzeichnet die Lopo-Gruppe 3434 Mitglieder. Sie findet alle zwei Jahre statt.

Und hier fühlt sich die Party wieder „anders“ als an als den anderen Stätten, weil die Wahrscheinlichkeit sehr hoch ist sehr viel bekannte Gesichter zu treffen.  Auch wenn ich deren Namen schon damals nicht wusste. Ich erkenne sie teilweise sogar erst an ihren Bewegungen, am Tanzstil, an der Art die Haare zu werfen, am Lächeln oder der Mimik beim Sprechen und Singen.  

Lopo´s Revival Party April 2013 - Gogofläche beleuchtet rechts

Erstaunlicherweise prägen sich einige Gesichter dann doch ein. Besonders interessant wird es, wenn die alten Erinnerungen hochkommen und das Herz einen Freudensprung macht. Oft sind es Leute, die ich aus den Augen verloren habe, mit denen ich jedoch mehrere Jahre Stunde um Stunde nebeneinander getanzt, etwas geredet und gelacht hatte. Und es vollkommen ausreichte, wenn man sich beim Vornamen kannte und wusste, aus welchem Ort sie kamen. Damals konnte man sich sicher sein, am Tag x wird derjenige schon wieder im Lopo sein. Bis man sich dann doch aus den Augen verloren hat und ohne jeglichen Nachnamen dann einfach den Kontakt verloren hat.

Daher war es umso schöner, dass der ein oder andere Kontakt dank der Lopo Revival Party wieder hergestellt werden konnte. Die Leute singen die Lieder beim Tanzen mit, es wird abgerockt, was das Zeug hergibt, Lebensfreude in vielen Gesichtern der Tanzenden, genussvolles Beobachten am Rand und reger Informationsaustausch an den Türen und Tischen.  Herzlichen Dank an die Veranstalter für die Wiederbelebung des Lopo-Feelings und diese Art der Réunion der Musikliebhaber von damals!

Hier findet ihr ein Youtube Short der Lopo Revival Party 2024:
https://youtube.com/shorts/8BJla-k2uLI?feature=share



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